Kleiner Knigge für den respektvollen Umgang miteinander
Ein Leitfaden soll helfen, dass sich Menschen mit und ohne Behinderung offen und respektvoll begegnen können. Entwickelt wurden die zehn Tipps vom Deutschen Knigge-Rat und dem Verein "Der Paritätische Hessen". Beraterinnen waren Esther Weber, Paralympics-Siegerin 1992 im Fechten, und Katja Lüke, selbst Rollstuhlfahrerin, die die Erfahrungen und Wünsche von Menschen mit Behinderungen gesammelt und in die Verhaltensempfehlungen eingebracht haben.
Die 10 Tipps des Knigge-Rats
Tipp 1. Small Talk: Keine plumpe Neugier
Plumpe Neugier ist im Small Talk generell tabu. Fragen Sie Ihren Gesprächspartner nicht, warum oder seit wann er eine Behinderung hat. Wenn er will, wird er Ihnen die Geschichte von selbst erzählen. Anstarren gehört nicht zu den guten Umgangsformen. Bedenken Sie, dass auch blinde Menschen Blicke spüren.
Tipp 2. Alltag: Unterstützung anbieten – und abwarten
Generell ist es höflich, wenn Sie Ihre Hilfe anbieten. Noch höflicher ist es, geduldig auf die Antwort zu warten. Viele Menschen werden sofort voller Hilfsbereitschaft handgreiflich, doch einen Übergriff hat niemand gern. Akzeptieren Sie freundlich, wenn jemand Ihre Hilfe nicht in Anspruch nehmen möchte.
Tipp 3. Anrede: Reden Sie mit dem Menschen – nicht über ihn hinweg
Viele Menschen mit Behinderung wundern sich, dass sie in der Anrede übergangen werden. Da wird dann zum Beispiel die Begleitperson gefragt: „Möchte Ihr (blinder) Mann noch etwas trinken?“ Haben Sie keine falschen Hemmungen, den Menschen mit Behinderung direkt anzusprechen.
Tipp 4. Respekt: Beachten Sie die Distanzzonen
Gerade für Menschen mit Behinderung ist es besonders wichtig, dass andere die Distanzzonen beachten. Fremden erwachsenen Menschen sollte man selbstverständlich nicht ohne weiteres den Kopf streicheln oder die Schulter tätscheln. Ein grobes Foul ist es, den Blindenstock zu verlegen, die Position des Rollstuhls zu verändern oder ihn gar als Garderobenständer zu missbrauchen. Hilfsmittel sind für Menschen mit Behinderung etwas sehr Persönliches und für Fremde tabu. Eine fremde Handtasche würde man schließlich auch nicht ohne weiteres ergreifen. Denken Sie auch daran, dass der Blindenhund „bei der Arbeit“ ist und lenken Sie ihn nicht ab. Fragen Sie ggf. nach, ob Sie ihn streicheln dürfen und akzeptieren Sie, wenn die Antwort „nein“ lautet.
Tipp 5. Normalität: Keine Angst vor Redewendungen
Sagen Sie ruhig „Auf Wiedersehen“ zu einem blinden Menschen und fragen Sie die Rollstuhlfahrerin, ob sie mit Ihnen „spazieren gehen“ will. An diesen gängigen Formulierungen stören sich Menschen mit Behinderung in der Regel nicht.
Tipp 6. Sorgfalt: Vorsicht vor Diskriminierung
Sprachliche Sorgfalt ist gefragt, wenn Sie über Menschen sprechen. Gehörlose Menschen sind nicht taubstumm, sondern kommunizieren über die Gebärdensprache und sind gehörlos, aber nicht stumm. „Mongoloismus“ ist keine Diagnose, sondern eine Diskriminierung. Sprechen Sie von „Down-Syndrom“ oder von „Trisomie 21“. Reden Sie statt von „Behinderten“ besser von „Menschen mit Behinderung“.
Tipp 7. Ansehen: Suchen Sie Blickkontakt
Sie schenken einem Menschen Ansehen, indem Sie ihn ansehen. Für schwerhörige Menschen ist diese Höflichkeit besonders wichtig, da Mimik und Gestik beim Verstehen helfen. Wer schon einmal einen Referenten erlebt hat, der beim Schreiben mit dem Rücken zum Publikum redet, kennt den Effekt. Wenden Sie Ihr Gesicht zum Gegenüber, doch vermeiden Sie es, ihn anzuschreien oder in Babysprache zu sprechen. Schwerhörigkeit sollte nicht mit Begriffsstutzigkeit verwechselt werden.
Tipp 8. Beachtung: Der Dolmetscher hat die Nebenrolle
Wenn ein Gebärdensprachdolmetscher im Einsatz ist: Sehen Sie beim Sprechen nicht den Dolmetscher, sondern Ihre Gesprächspartnerin an und wählen Sie die direkte Anrede mit „Sie“ bzw. „Du“. Ihre Gesprächspartnerin hat die Hauptrolle, der Dolmetscher die Nebenrolle. Dies stellt für den Gebärdensprachdolmetscher keine Unhöflichkeit dar. Generell gilt: Erwachsene Menschen mit und ohne Behinderung werden gesiezt. Bleiben Sie beim Sie oder klären Sie die gleichberechtigte Anrede. Etwa: „Wollen wir Du zu einander sagen?“
Tipp 9. Information: Kommunizieren Sie besser zu viel als zu wenig
Gerade für blinde Menschen ist es wichtig, dass Sie ausgiebig kommunizieren, zum Beispiel bei der Begrüßung. Sagen Sie: „Hallo Max, ich bin´s, Sabine. Herr Müller kommt auch gerade zur Tür herein.“ Geben Sie Bescheid, wenn Sie Ihren Platz verlassen. So vermeiden Sie, dass Ihr Gegenüber sich später mit einem leeren Stuhl unterhält, weil er denkt, Sie wären noch da. Das ist für den blinden Menschen sehr unangenehm. Achten Sie bei der Begrüßung auf die Körpersprache des blinden Menschen und fragen Sie „Wollen wir Händeschütteln?“ Bedenken Sie, dass der Handschlag eine wichtige Möglichkeit ist, um Informationen über Sie zu erhalten und Sie zu begreifen. Fragen Sie beim Ortswechsel: „Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?“
Tipp 10. Bewusstsein: Die Behinderung ist nur ein Merkmal von vielen
„Eine Rollstuhlfahrerin ist eine Frau und außerdem vielleicht Angestellte, Vereinsmitglied, Mutter oder Temposünderin. Die Behinderung ist nur ein Merkmal von vielen“ sagt Katja Lüke. Verzichten Sie darauf, Menschen auf die Behinderung zu reduzieren. Eine Bemerkung wie „Wie toll, dass Sie trotz Ihrer Behinderung mobil sind“ ist genauso unpassend wie „Als Frau können Sie aber relativ gut Auto fahren.“ Begreifen Sie Andersartigkeit nicht als Makel, sondern als Vielseitigkeit: Behinderte Menschen können vieles, was Nichtbehinderte erstaunt.